Ernährung #84
E‑lend!
«Du Fressdieb! Habe ich dich endlich!»
Erschrocken zuckt er zusammen.
Wie eingefroren schwebt sein Zeigefinger in der Luft. Gerade eben war er noch auf dem Weg in den Mund, um genüsslich abgeschleckt zu werden. Traurig tropft die gebrannte Crème von seinem Finger auf den Boden. Langsam dreht sich Jürg vom Kühlschrank weg und schaut schuldbewusst zu seiner Grossmama, die mit in die Hüften gestemmten Armen vor ihm steht und ihn mit strengem Blick mustert.
«Aber Grossmami, weisst du, ich muss noch Hausaufgaben machen, und du weisst doch, ‚ein leerer Bauch studiert nicht gerne‘.» Jürg setzt den allertreuherzigsten Bernhardinerblick auf, etwas, was bei Grossmama immer funktioniert hat. Aber diesmal scheint sie nicht gewillt, sich von ihm um den Finger wickeln zu lassen. «So, so, der junge Herr Dieb leert meinen Kühlschrank und glaubt, zu seiner Verteidigung müsse er eine Redewendung zum Besten geben. Da wollen wir doch sehen, ob du diese Redensart auch kennst: ‚Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht‘.»
Jürg nickt bloss, auch wenn er Böses ahnt.
«Also Herr Dieb, hast du zufällig vorgestern deine langen Finger in meine Pestosauce getaucht und danach den Deckel nicht richtig verschlossen? Mit dem Saucenbehälter ist mir nämlich ein kleines Malheur passiert, und ich habe die halbe Pestosauce vom Boden aufwischen müssen. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass ich den Deckel richtig verschlossen habe.»
Eigentlich ist Grossmama der liebste und grosszügigste Mensch auf Erden, aber mit ihr ist nicht gut Kirschen essen, wenn man sich insgeheim an ihren Köstlichkeiten vergreift. Jürg räubert seit Jahren in ihrem Kühlschrank, aber mit zunehmendem Erwachsenwerden werden seine Diebestouren immer häufiger und umfangreicher. Und deshalb auffälliger. Bisher ist es immer gut gegangen, aber jetzt scheint sie den Braten gerochen zu haben. Es bleibt ihm wohl nichts Anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beissen und zu seiner Schuld zu stehen. «Also, ja, äääähm, meine Freundin hat mich verlassen, und du weisst doch ‚Beim Trinken und Essen wird der Kummer vergessen‘. Ich habe schon etwas stibitzt, aber nur, um über die Trennung hinweg zu kommen. Deine Küchenschätze sind so wunderbar, sie helfen über jeden Schmerz hinweg.»
«Quatsch mit Sauce!», gibt sie energisch zurück, «du kannst aufhören, Süssholz zu raspeln und mir Honig ums Maul zu schmieren, darauf falle ich nicht herein. Seit wie lange bedienst du dich schon an meinem Kühlschrank, du ausgekochtes Bürschchen?»
«Oh weija, jetzt geht es wirklich um die Wurst». denkt er und sucht verzweifelt nach einem Hintertürchen, durch das er entschlüpfen könnte. «Oh, da kann ich mich nicht erinnern, es werden wahrscheinlich schon vier bis fünf Ma…»
«… Jahre!», fällt sie ihm ins Wort, «Jahre trifft es sicher eher!»
Zerknirscht nickt er und versucht ein letztes Mal, mit heiler Haut davon zu kommen: «Grossmami, wir haben im Hauswirtschaftsunterricht gelernt, dass man ist, was man isst. Und für mich bedeutet das eben, dass ich ein wunderbares Bürschchen bin, wenn ich von deinen leckeren Dingen nasche.»
Liebe Leserin und lieber Leser, haben Sie mitgezählt, wie viele Redensarten ich im Text untergebracht habe? Und der Grossteil dreht sich ums Essen. Ich würde wetten, dass den meisten von Ihnen nicht bewusst gewesen ist, wie viele solcher Redensarten wir in der deutschen Sprache haben. Ist das nicht wunderbar!
Ebenso wunderbar wie Grossmamas Köstlichkeiten.
«Du bist, was du isst», hat in meinen Augen sehr viel Wahrheitsgehalt. Wer den ganzen Tag Müll in sich hinein stopft – am besten bis spät abends – kann nicht ernsthaft glauben, selig schlummernd ins Reich der Träume zu gleiten. Dazu eine kleine Analogie: Stellen Sie sich die Sauerei nach einem Fasnachtsumzug vor. Da genügt es nicht, hinterher mit einem Handbesen die Strasse zu kehren, die schweren Putzmaschinen müssen her. Wenn Sie Ihren Magen mit Müll fluten, müssen die Bakterien in Magen und Darm ihre Ärmel zurückkrempeln, tüchtig in die Hände spucken und Schwerstarbeit verrichten. Kein Wunder, schlafen Sie unruhig.
Wer gut leben und schlafen möchte, achtet auch auf die Ernährung. Ganz besonders auf E‑Zusatzstoffe wie E 210, E 213, E 104, E 110, E 951, E 952, E 954, E 621, E 625… . Das sind künstliche Aromen, Geschmacksverstärker, Konservierungs‑, Farb- oder Süssstoffe, die meines Erachtens in gesundem Essen nichts zu suchen haben (sollten). Ich will Ihnen keinesfalls Ihren Lieblings-Snack madig machen, empfehle Ihnen jedoch, beim nächsten Einkauf einmal die Inhaltsstoffe der Produkte durchzulesen und sich kundig zu machen, was hinter den E‑Nummern steckt. Und übrigens gilt, je mehr man selbst zubereitet, desto weniger E‑Zusatzstoffe nimmt man zu sich. Deshalb der Tipp von mir: Schwingen Sie selbst mehr den Kochlöffel.
Sollte ich Ihnen mit diesen Ausführungen zum Thema Essen die Suppe versalzen haben, brauchen Sie nicht die beleidigte Leberwurst zu spielen, aber Sie dürfen selbstverständlich in den Kommentaren Ihren Senf dazu abgeben.
Nun freue ich mich, Sie beim nächsten Blogbeitrag zum Thema «Bauchlage» wieder dabeizuhaben.
Bis bald!
Ihr Bernhard Heim
Schlaf- und Wohn- und Redensarten-Drescher
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Mein Arzt sagte zu mir, wieso sind sie so schlank in ihrem Alter? Ich, weil ich ungesund lebe. Ah, sagt mein Arzt nur!
Ich wünsche euch eine gute Woche.