Leben im ureigenen Rhythmus

 

«Vor!»

«Zurück!»

«Vor!!»

«Zurück!!»

«…»

Mit schön­er oder bess­er unschön­er Regelmäs­sigkeit zanken sich die Leute, was mit den Uhren Ende März respek­tive Ende Okto­ber geschieht. Die einen wollen sie eine Stunde vor‑, die andere zurück­stellen. Dabei gibt es eine ein­fache Esels­brücke, um es sich zu merken: Im Vrüh­ling wird sie vorgestellt, im Herb­st nach hinten (zurück). Ich weiss, die Rechtschrei­bung lei­det etwas, damit die Regel funk­tion­iert, aber da sehen wir grosszügig drüber hinweg.

Dieses Woch­enende, das heisst, in der Nacht vom Sam­stag, 26. auf den Son­ntag, 27. Okto­ber ist es wieder so weit, die Uhren wer­den nachts um 3 Uhr zurück auf 2 Uhr gestellt. Wir bekom­men die im Früh­ling ver­lorene Stunde wieder zurück. Die einen geniessen eine Stunde mehr Schlaf, während andere eine Stunde länger Par­ty machen – Haupt­sache der Weck­er zeigt son­ntagabends die richtige Zeit, son­st ste­hen Sie mon­tags eine Stunde zu früh auf der Matte.

Wenn man sich zurück­lehnt und über­legt, wie uns die Uhr am Gän­gel­band führt, dann frage ich mich manch­mal, wie gesund das ist. Ein Beispiel: Wir hören nicht auf unseren Kör­p­er, der sagt, dass wir müde sind, son­dern schauen auf die Uhr und haben das Gefühl, es sei noch zu früh, um zu Bett zu gehen. Oder wir sind noch zu aufge­dreht und gehen trotz­dem zu Bett, weil wir immer um eine bes­timmte Zeit schlafen gehen. Dann wälzen wir uns im Bett und kön­nen – wenn wundert’s – nicht einschlafen.

Wir müssen (oder wollen) zu ein­er bes­timmten Zeit bei der Arbeit sein, eben­so wollen wir um 12 Uhr essen, Punkt 17.30 Uhr zu Hause ankom­men, um 18.30 Uhr ins Train­ing gehen und um 20.30 Uhr mit einem Fre­und tre­f­fen. Ein solcher­massen durchge­tak­teter Tag funk­tion­iert nur mit Uhren, anders ist das kaum zu schaf­fen. Manch­mal benei­de ich die Indi­an­er, die sich beim näch­sten Voll­mond oder Halb­mond verabre­det haben oder «wenn das Eis auf dem Fluss bricht», «wenn die Hasel­sträuch­er blühen» oder «die Hirsche röhren». Da hat man dur­chaus einen, zwei oder noch mehr Tage aufeinan­der gewartet – ohne WLAN und Smart­phone – und kein­er hat dem anderen Zus­pätkom­men vorge­wor­fen. Das Leben in und mit der Natur war manch­mal sich­er her­aus­fordernd, aber ich denke, diese Men­schen waren sehr viel weniger gestresst, als wir es heute sind.

Wir haben gel­ernt, nach der offiziellen Uhrzeit zu leben, anstatt nach der inneren Uhr, und damit sind wir beim The­ma Chrono­typen. Mit diesem Begriff beze­ich­nen wir eine indi­vidu­elle Ver­an­la­gung, zu ein­er bes­timmten Tages- oder Nachtzeit beson­ders leis­tungs­fähig zu sein. Die innere Uhr ist etwas Indi­vidu­elles und schlägt bei jedem Men­schen in seinem eige­nen Takt. Die grobe Ein­teilung in «Eulen» (nach­tak­tiv – Spä­tauf­ste­her) oder «Lerchen» (tagak­tiv – Frühauf­ste­her) ist den meis­ten Men­schen geläu­fig. Stellen Sie sich nun ein­mal vor, eine Eule will als Bäck­er arbeit­en: Abends nicht zu Bett gehen, dafür früh­mor­gens schon auf­ste­hen, das kann nicht funktionieren.

Neben Eulen oder Lerchen hat die Wis­senschaft weit­ere Chrono­typen gefun­den, die weniger bekan­nt sind. So gibt es die «Mit­tagss­chläfer», die am Nach­mit­tag beson­ders müde sind, dafür mor­gens und abends leis­tungs­fähig und die «Nach­mit­tags-Typen», die am Nach­mit­tag zur Höch­st­form auflaufen, dafür am Vor­mit­tag und Abend mehr Mühe haben, in die Gänge zu kom­men. Eine Forscher­gruppe aus München hat sog­ar sieben Chrono­typen gefun­den, es würde jedoch zu weit führen, diese hier zu präsentieren.

Welcher Chronotyp bin ich?

Eule, oder
Lerche?

Möcht­en Sie her­aus­find­en, welch­er Chrono­typ Sie sind, dann warten Sie am besten auf die näch­sten Ferien. Leg­en Sie die Uhr für ein paar Tage zur Seite und hören Sie bloss auf Ihre innere Uhr. Gehen Sie zu Bett, wenn Sie müde sind und ste­hen Sie auf (ohne Weck­er!), wenn Sie sich aus­geschlafen fühlen. Ver­mei­den Sie dabei möglichst grelle, kün­stliche Beleuch­tung. Nach eini­gen Tagen wer­den Sie ihren natür­lichen, per­sön­lichen Rhyth­mus gefun­den haben. Das wäre doch eine Idee, oder nicht?! – Und kön­nte her­vor­ra­gend mit einem dig­i­tal­en Time-out ver­bun­den wer­den. Sie kön­nten, wie Onkel Hubert im let­zten HEIMisch-Blog­beitrag, Atemübun­gen machen und medi­tieren ler­nen oder spazieren gehen, sich an ein Feuer set­zen und Holz­fig­uren schnitzen, dem Laub zuschauen, wie es von den Bäu­men fällt, Eich­hörnchen beobacht­en, wie sie geschäftig und flink ihre Win­ter­vor­räte auf­füllen, her­aus­find­en, wie Nebel riecht, einem Bäch­lein zuhören, welche Geschicht­en es zu erzählen weiss…

Ich garantiere Ihnen, dass Sie in einem solchen Leben­srhyth­mus gut oder sog­ar sehr gut schlafen werden.

In jedem Men­schen steckt – mehr oder weniger tief ver­graben – die Sehn­sucht nach län­geren oder kürz­eren geruh­samen Leben­sphasen. Nehmen Sie sich Zeit, um sich wieder ein­mal Zeit zu nehmen.

 

 

Nun freue ich mich, Sie in zwei Wochen beim The­ma «Wun­derpflanze» wieder dabei zu haben.

 

 

Bis bald!

 

Ihr Bern­hard Heim

Schlaf- und Wohn­ber­ater und Lerche (manch­mal auch Eule)

 

 

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1 Kommentar

  1. Veröffentlich von Susanne Singer am 26. Oktober 2024 um 21:37

    Lieber Bern­hard
    Es erstaunt mich sehr, wie du in so kurzen Zeitab­stän­den so span­nende Beiträge schreiben kannst. Nehme mir extra Zeit sie zu lesen, dass heist nicht wenn das Mail kommt, son­dern wenn ich die Muse zum lesen haben.

    Freue mich auf noch sehr viele gute Impulse.

    Alles Liebe
    Susanne

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