Chronotypen #115
Leben im ureigenen Rhythmus
«Vor!»
«Zurück!»
«Vor!!»
«Zurück!!»
«…»
Mit schöner oder besser unschöner Regelmässigkeit zanken sich die Leute, was mit den Uhren Ende März respektive Ende Oktober geschieht. Die einen wollen sie eine Stunde vor‑, die andere zurückstellen. Dabei gibt es eine einfache Eselsbrücke, um es sich zu merken: Im Vrühling wird sie vorgestellt, im Herbst nach hinten (zurück). Ich weiss, die Rechtschreibung leidet etwas, damit die Regel funktioniert, aber da sehen wir grosszügig drüber hinweg.
Dieses Wochenende, das heisst, in der Nacht vom Samstag, 26. auf den Sonntag, 27. Oktober ist es wieder so weit, die Uhren werden nachts um 3 Uhr zurück auf 2 Uhr gestellt. Wir bekommen die im Frühling verlorene Stunde wieder zurück. Die einen geniessen eine Stunde mehr Schlaf, während andere eine Stunde länger Party machen – Hauptsache der Wecker zeigt sonntagabends die richtige Zeit, sonst stehen Sie montags eine Stunde zu früh auf der Matte.
Wenn man sich zurücklehnt und überlegt, wie uns die Uhr am Gängelband führt, dann frage ich mich manchmal, wie gesund das ist. Ein Beispiel: Wir hören nicht auf unseren Körper, der sagt, dass wir müde sind, sondern schauen auf die Uhr und haben das Gefühl, es sei noch zu früh, um zu Bett zu gehen. Oder wir sind noch zu aufgedreht und gehen trotzdem zu Bett, weil wir immer um eine bestimmte Zeit schlafen gehen. Dann wälzen wir uns im Bett und können – wenn wundert’s – nicht einschlafen.
Wir müssen (oder wollen) zu einer bestimmten Zeit bei der Arbeit sein, ebenso wollen wir um 12 Uhr essen, Punkt 17.30 Uhr zu Hause ankommen, um 18.30 Uhr ins Training gehen und um 20.30 Uhr mit einem Freund treffen. Ein solchermassen durchgetakteter Tag funktioniert nur mit Uhren, anders ist das kaum zu schaffen. Manchmal beneide ich die Indianer, die sich beim nächsten Vollmond oder Halbmond verabredet haben oder «wenn das Eis auf dem Fluss bricht», «wenn die Haselsträucher blühen» oder «die Hirsche röhren». Da hat man durchaus einen, zwei oder noch mehr Tage aufeinander gewartet – ohne WLAN und Smartphone – und keiner hat dem anderen Zuspätkommen vorgeworfen. Das Leben in und mit der Natur war manchmal sicher herausfordernd, aber ich denke, diese Menschen waren sehr viel weniger gestresst, als wir es heute sind.
Wir haben gelernt, nach der offiziellen Uhrzeit zu leben, anstatt nach der inneren Uhr, und damit sind wir beim Thema Chronotypen. Mit diesem Begriff bezeichnen wir eine individuelle Veranlagung, zu einer bestimmten Tages- oder Nachtzeit besonders leistungsfähig zu sein. Die innere Uhr ist etwas Individuelles und schlägt bei jedem Menschen in seinem eigenen Takt. Die grobe Einteilung in «Eulen» (nachtaktiv – Spätaufsteher) oder «Lerchen» (tagaktiv – Frühaufsteher) ist den meisten Menschen geläufig. Stellen Sie sich nun einmal vor, eine Eule will als Bäcker arbeiten: Abends nicht zu Bett gehen, dafür frühmorgens schon aufstehen, das kann nicht funktionieren.
Neben Eulen oder Lerchen hat die Wissenschaft weitere Chronotypen gefunden, die weniger bekannt sind. So gibt es die «Mittagsschläfer», die am Nachmittag besonders müde sind, dafür morgens und abends leistungsfähig und die «Nachmittags-Typen», die am Nachmittag zur Höchstform auflaufen, dafür am Vormittag und Abend mehr Mühe haben, in die Gänge zu kommen. Eine Forschergruppe aus München hat sogar sieben Chronotypen gefunden, es würde jedoch zu weit führen, diese hier zu präsentieren.
Welcher Chronotyp bin ich?
Möchten Sie herausfinden, welcher Chronotyp Sie sind, dann warten Sie am besten auf die nächsten Ferien. Legen Sie die Uhr für ein paar Tage zur Seite und hören Sie bloss auf Ihre innere Uhr. Gehen Sie zu Bett, wenn Sie müde sind und stehen Sie auf (ohne Wecker!), wenn Sie sich ausgeschlafen fühlen. Vermeiden Sie dabei möglichst grelle, künstliche Beleuchtung. Nach einigen Tagen werden Sie ihren natürlichen, persönlichen Rhythmus gefunden haben. Das wäre doch eine Idee, oder nicht?! – Und könnte hervorragend mit einem digitalen Time-out verbunden werden. Sie könnten, wie Onkel Hubert im letzten HEIMisch-Blogbeitrag, Atemübungen machen und meditieren lernen oder spazieren gehen, sich an ein Feuer setzen und Holzfiguren schnitzen, dem Laub zuschauen, wie es von den Bäumen fällt, Eichhörnchen beobachten, wie sie geschäftig und flink ihre Wintervorräte auffüllen, herausfinden, wie Nebel riecht, einem Bächlein zuhören, welche Geschichten es zu erzählen weiss…
Ich garantiere Ihnen, dass Sie in einem solchen Lebensrhythmus gut oder sogar sehr gut schlafen werden.
In jedem Menschen steckt – mehr oder weniger tief vergraben – die Sehnsucht nach längeren oder kürzeren geruhsamen Lebensphasen. Nehmen Sie sich Zeit, um sich wieder einmal Zeit zu nehmen.
Nun freue ich mich, Sie in zwei Wochen beim Thema «Wunderpflanze» wieder dabei zu haben.
Bis bald!
Ihr Bernhard Heim
Schlaf- und Wohnberater und Lerche (manchmal auch Eule)
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Lieber Bernhard
Es erstaunt mich sehr, wie du in so kurzen Zeitabständen so spannende Beiträge schreiben kannst. Nehme mir extra Zeit sie zu lesen, dass heist nicht wenn das Mail kommt, sondern wenn ich die Muse zum lesen haben.
Freue mich auf noch sehr viele gute Impulse.
Alles Liebe
Susanne