Mehr als eine Geschichte

 

Liebe HEIMisch-Blog-Leserin­nen und ‑Leser

Men­schen lieben Geschicht­en, das steckt tief in unseren Genen. Es sind kaum hun­dert Jahre her, als es abends wed­er Radio noch TV oder son­stige Ablenkun­gen gab. Man set­zte sich während der kalten Win­ter­abende in der Stube zusam­men und hörte den Erzäh­lun­gen zu. Sie kön­nen das Zeit­en­rad auch tausend, zweitausend oder zehn­tausend Jahre zurück­drehen: Die Men­schen sassen erzäh­lend rund ums Feuer und sind bis heute empfänglich für gute Geschichten.

Ich weiss nicht, wie Sie zu Wei­h­nacht­en ste­hen und möchte keines­falls in religiöse Diskus­sio­nen abgleit­en, aber ich habe mir erlaubt, eine Wei­h­nachts­geschichte zu erfind­en, die in einem tra­di­tionellen Umfeld spielt und einen Hauch «heile Welt» in sich trägt; ihre Botschaft ist jedoch universell.

Ich wün­sche Ihnen viel Freude beim Lesen.

 

Die Wei­h­nachts-Kerze

Es war in einem abgele­ge­nen Dorf im Schweiz­er Jura, oben auf über 1‘000 Metern, dort wo der Win­ter seinen Namen noch ver­di­ente. Im Dorf gab es ein kleines Kirch­lein, dessen geschmück­te Fen­ster immer im Advent und an Heili­ga­bend beson­ders ein­ladend durch die Win­ter­nacht leuchteten. In diesem Jahr jedoch sollte etwas geschehen, was die Men­schen nicht so schnell vergessen würden.

Am Dor­frand, in der Nähe des Kirch­leins, lebte Eline zusam­men mit ihrer Mut­ter. Sie waren bit­ter­arm, hat­ten kaum genug zu essen, seit der Vater vor zwei Jahren bei Wal­dar­beit­en ums Leben gekom­men war. Mit Mühe und Not hat­te ihre Mut­ter es geschafft, dass sie weit­er­hin im Förster­häuschen wohnen kon­nten.  Im Dorf waren sie nicht son­der­lich ange­se­hen, lebten sie doch sehr zurück­ge­zo­gen und waren auch nie im Wirtshaus anzutr­e­f­fen. Dafür fehlten Zeit und Geld. Doch Eline hat­te ein gross­es Herz, und obwohl sie sich keine Geschenke leis­ten kon­nten, liebte sie Wei­h­nacht­en. Jeden Abend, wenn die Sterne am Him­mel funkel­ten, und das Dorf sich in die Schneewe­hen duck­te, set­zte sich Eline ans Fen­ster und schaute hinüber zum Kirch­lein, wo Kinder für das Krip­pen­spiel übten und Wei­h­nacht­slieder san­gen. Sie spürte die fröh­liche Stim­mung auch aus der Ent­fer­nung und wäre gerne dabei gewe­sen, aber sie hat­ten nichts, was als Kostüm für das Krip­pen­spiel getaugt hätte.

Winterlandschaft mit Häuschen

Heili­ga­bend rück­te näher und Elines Wun­sch wurde mit jedem Tag gröss­er. Als ihre Mut­ter am Vor­abend von Heili­ga­bend ins Zim­mer kam, um Eline eine gute Nacht zu wün­schen, fand sie ihre Tochter am Fen­ster sitzend. Auf den Wan­gen glitzerten Trä­nen. «Was ist los, mein Schatz? Wieso weinst du?», wollte sie wissen.

«Nichts, Mami, es ist nichts», antwortete Eline und zwang sich zu lächeln. Ihre Mut­ter hat­te genug Sor­gen, sie wollte sie nicht mit ihren Wün­schen belasten.

Am 24. Dezem­ber hat­te die Sonne den ganzen Tag vom tief­blauen Him­mel geschienen. Die Kinder hat­ten die Schlit­ten her­vorge­holt und sich am Hang hin­ter dem Dorf vergnügt, während die Eltern alles für ein schönes Wei­h­nachts­fest vor­bere­it­et hat­ten. Über­all war die Vor­freude auf das Fest zu spüren. Auss­er bei Eline Zuhause. Ihre Mut­ter hat­te einige Kerzen­s­tum­mel vom let­zten Jahr auf den Tisch gestellt, das war alles, was an Wei­h­nacht­en erinnerte.

Die Sonne war unterge­gan­gen, hell leuchteten die Fen­ster und schick­ten ihr warmes Licht durch die Nacht. Vielerorts hat­te man Lat­er­nen mit extra grossen Kerzen vors Haus gestellt, die während der ganzen Nacht bren­nen soll­ten. Eline hat­te aus ihrem Fen­ster gese­hen, wie die Men­schen fröh­lich schwatzend für das Krip­pen­spiel zum Kirch­lein gepil­gert waren und nur mit Mühe geschafft, ihre Trä­nen zurück­zuhal­ten. Mit einem tiefen Seufz­er wandte sie sich schliesslich ab und schaute sich in ihrem Zim­mer um. Da war nichts, was für ein Krip­pen­spiel getaugt hätte. Nichts. Und jet­zt war es sowieso zu spät. Aber sie wäre so gerne dabei gewesen!

Ohne bes­timmte Absicht griff sie nach der ober­sten Schublade ihrer Kom­mode und zog daran. Sie klemmte, als wolle sie sich dage­gen wehren, geöffnet zu wer­den. Eline zog und zer­rte schliesslich daran, bis die Schublade auf ein­mal nach­gab, her­aus­glitt und zu Boden krachte. Wild ver­streut lagen ihre Klei­der herum. «Auch das noch», murmelte sie und begann, sie einzusam­meln. Als sie den dick­en, selb­st­gestrick­ten Pullover aufhob, kam darunter eine kleine Schachtel zum Vorschein. Eline hat­te sie noch nie gese­hen! Wahrschein­lich hat­te sie ganz zuhin­ter­st in der Schublade gele­gen. Ver­wun­dert griff sie danach und öffnet sie. Darin waren eine kleine Kerze und ein gefal­tetes Zettelchen. Neugierig griff Eline nach dem Zettelchen und begann zu lesen. Ihre Gross­ma­ma, die schon vor langer Zeit gestor­ben war, hat­te diese Kerze vor vie­len, vie­len Jahren zu Wei­h­nacht­en geschenkt bekom­men und – so schien es – nie angezün­det. Nun lag sie vor ihr in der Schachtel und Eline begann zu über­legen. Sollte sie …? Kon­nte sie …? Durfte sie …?

Einen Moment zögerte sie noch, dann nahm sie das Ker­zlein behut­sam her­aus, schlich nach unten, schlüpfte in Schuhe und Jacke und ver­liess das Häuschen, ohne dass ihre Mut­ter etwas bemerk­te. Der Schnee knirschte unter ihren Schuhen, als sie auf das Kirch­lein zustapfte, doch vor der schw­eren Holztür ver­liess sie der Mut. Unentschlossen schritt sie hin und her, griff immer wieder nach dem Ker­zlein in der Jack­en­tasche, um sich zu ver­sich­ern, dass es noch da war. Sie hörte die Stim­men der Kinder, die das Krip­pen­spiel auf­führten, hörte, wie die Men­schen san­gen und … getraute sich nicht.

Auf ein­mal erlosch das Licht in der Kirche. Nur das Flack­ern von Kerzen war noch zu sehen, als die Men­schen began­nen, «Stille Nacht, heilige Nacht» zu sin­gen. Eline drück­te die Tür­falle herunter und betrat scheu das Kirch­lein. Die Bänke links und rechts des Mit­tel­gangs waren gefüllt, die Men­schen san­gen, nie­mand hat­te sie bemerkt. Nie­mand auss­er der Pfar­rer, der auf ein­mal zu sin­gen aufhörte. Er lächelte Eline zu und wink­te ihr ein­ladend zu, nach vorne zu kom­men. Sie zögerte einen Moment, dann begann sie langsam nach vorne zu gehen und fühlte mit jedem Schritt mehr Blicke auf sich. Der Gesang wurde immer leis­er, bis er erstarb. Die Men­schen reck­ten die Köpfe, alle woll­ten sehen, wem der Pfar­rer zugewinkt hat­te. Hätte er Eline nicht weit­er­hin anges­trahlt und mit der Hand gewinkt, sie hätte kehrt gemacht und wäre geflüchtet. Endlich vorne angekom­men, beugte er sich zu ihr herunter und begrüsste sie: «Du bist Eline, stimmt’s?»

Sie nick­te schüchtern, getraute sich aber nicht zu antworten.

«Her­zlich willkom­men, liebe Eline, schön bist du bei uns!»

Wieder nick­te Eline nur. Ihr Hals war so trock­en, sie hätte kein Wort her­aus­ge­bracht. Schweigend beobachteten die Men­schen in der Kirche die Szene, ohne zu ver­ste­hen, was gesprochen wurde.

Eline musste allen Mut zusam­men­nehmen, um die kleine Kerze aus ihrer Jack­en­tasche her­auszuziehen. Wie einen kost­baren Schatz streck­te sie sie dem Pfar­rer hin. «Für das Jesuskind», flüsterte sie.

«Möcht­est du sie anzün­den und zum Jesuskind in die Krippe stellen», fragte der Pfarrer.

Eifrig nick­te Eline.

Der Pfar­rer nahm sie an der Hand und führte sie zur Krippe mit den Holz­fig­uren. Von einem Stän­der nahm er eine Kerze und hielt sie Eline so hin, dass sie ihre kleine Kerze daran anzün­den kon­nte. Und dann geschah etwas, was allen den Atem stock­en liess. Es war wie ein Wun­der. Nie­mand kon­nte es sich erk­lären. Elines Kerze strahlte so hell, dass sie das ganze Kirch­lein in gold­far­benes, warmes Licht tauchte.

Es war mucksmäuschen­still, als auf ein­mal die Kirchen­tür geöffnet wurde und Elines Mut­ter ein­trat. Der Pfar­rer wink­te sie eben­so fre­undlich zu sich wie er es zuvor bei Eline getan hat­te und rief ihr ent­ge­gen: «Kom­men Sie nach vorne zu Ihrer Tochter, wir feiern ger­ade das schön­ste Wei­h­nachts­fest, das ich je erlebt habe.»

Der Pfar­rer liess Elines Kerze die ganze Nacht hin­durch und auch am 25. Dezem­ber bren­nen, trotz­dem wurde sie nicht klein­er. Sei­ther wird sie in diesem kleinen Schweiz­er Dorf jedes Jahr an Wei­h­nacht­en angezün­det und ver­bre­it­et ihre Botschaft, dass auch das kle­in­ste Licht, in Liebe angezün­det, die ganze Welt erhellen kann.

Winterlandschaft

Ich wün­sche Ihnen von Herzen schöne Wei­h­nacht­en – ob und wie Sie feiern, spielt für mich keine Rolle – betra­chtet man Wei­h­nacht­en als Fest der Liebe, gibt es wed­er kon­fes­sionelle noch andere Grenzen.

Ich freue mich, wenn Sie auch weit­er­hin zur treuen HEIMisch-Leser­schaft gehören, diesen Blog weit­erempfehlen und danke Ihnen, dass Sie öko trend bei Ihren Einkäufen berück­sichti­gen – falls nötig auch noch kurz vor Weihnachten 😉.

Wie üblich geht es in zwei Wochen weit­er, dies­mal mit dem The­ma «Neu­jahr und Berch­told­stag».

 

 

Bis bald!

 

Ihr Bern­hard Heim

Schlaf- und Wohn­ber­ater und Geschichtenerzähler

 

 

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1 Kommentar

  1. Veröffentlich von Theres Philipp am 19. Dezember 2025 um 14:35

    Lieber Bern­hard Heim
    Ganz her­zlichen Dank für diese wun­der­schö­nen Geschichten.
    Ich glaube es passieren mehr Wun­der auf dieser Welt als wir wirk­lich wahrnehmen, doch von diesen hören und sehen wir nicht so viel. Es sind die kleinen Dinge und die kön­nen sehr stark sein.
    Ihnen und Ihrer Fam­i­lie eine geseg­nete Weihnachtszeit.
    Mit lieben Grüßen
    Theres Philipp

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