Narrenfreiheit #96
Den Mächtigen den Spiegel vorhalten
Dyl Ulenspegel oder Dil Ulenspiegel ist Ihnen bekannt?
Nicht.
Dann kennen Sie vielleicht Till Eulenspiegel?
Nein, ich meine nicht, dass Sie zusammen mit ihm die Schulbank gedrückt haben, das wäre nur schwer möglich, schliesslich sind Sie im Gegensatz zu ihm noch taufrisch. Er soll laut Wikipedia zwischen 1290 und 1300 zur Welt gekommen und 1350 gestorben sein. 100-prozentig erwiesen ist es nicht, dass es diesen Till Eulenspiegel tatsächlich gegeben hat, aber die Narrengeschichten um eine Figur dieses Namens gibt es seit 1510.
In meiner Kindheit haben alle den sympathischen, Schabernack treibenden Kerl – oder eben Narren – gekannt, zwischenzeitlich ist er etwas in Vergessenheit geraten. Eigentlich schade, weil seine Geschichten uralt sind und schon im 16. Jahrhundert in viele europäische Sprachen übersetzt und sogar gedruckt wurden. Heute – und das ist meines Erachtens fast unglaublich – also heute gibt es Eulenspiegel-Geschichten in 280 Sprachen!
Ursprünglich war er ein ziemlich derber Kerl und seine Spässe nicht nur lustig, über die Jahrhunderte hinweg veränderten sich die Geschichten über ihn jedoch hin zum sympathischen Lausekerl, der den Menschen Streiche spielte und ihnen dabei gerne den Spiegel vorhielt.
Eulenspiegel nahm nie ein Blatt vor den Mund, sprach aus, was ihm auf der Zunge brannte – typisch Narr eben. Das war auch die wichtigste Aufgabe der Hofnarren. Etwa ab dem 10. Jahrhundert hielten diese tatsächlich existierenden Figuren in den Fürsten- und Königshäusern Einzug. Sie waren speziell gekleidet, so zum Beispiel mit der Narrenkappe und trugen das Narrenszepter. Ihnen wurde völlige Narrenfreiheit gewährt, das heisst, sie durften dem Herrscher offen widersprechen, ihm sogar ins Wort fallen und sein Handeln kritisieren, ohne mit den sonst üblichen Konsequenzen wie Kerker oder Galgen rechnen zu müssen. Auf diese Weise konnten sie mit Sicherheit die eine oder andere königliche Dummheit verhindern, die niemand anders anzusprechen gewagt hatte.
Wenn ich mich so umschaue, fände ich es eine gute Idee, das Hofnarrentum bei allen Mächtigen dieser Erde wieder einzuführen.
Immerhin gibt es in einigen Schweizer Kantonen mit der unmittelbar bevorstehenden Fasnacht ganz offiziell eine «närrische Zeit», während der eine gewisse Narrenfreiheit herrscht, und man die Mächtigen auf die Schippe nehmen darf. In der Zentralschweiz geschieht dies sehr oft mittels Fasnachtssujets an den Umzügen, in Basel hingegen sind es die Schnitzelbängg, wo auch mal ziemlich deftig ausgeteilt wird.
Gehört zu der närrischen Zeit – geschnitzte, hölzerne Masken
Haben Sie übrigens gewusst, dass sich bis tief ins Spätmittealter der Irrglaube hielt, dass das Liegen sterbenden Menschen vorbehalten sei und man im Liegen eher sterben würde als im Sitzen. Viele Menschen bevorzugten deshalb eine sitzende oder zumindest halbsitzende Position, um keinesfalls den Tod an ihr Bett einzuladen. Aus diesem Grund sieht man bei einer Burgbesichtigung manchmal Betten mit überdimensionierten Kissen. Diese verhinderten, dass die Schlafenden in die Waagrechte abliegen konnten.
Eben habe ich mir vorgestellt, wie ich als Hofnarr im Mittealter meinem Fürsten ins Gesicht sage, was ich von diesen Monster-Kissen halte: «Du solltest dir statt des Kissen-Ungetüms besser ein orthopädisches Kissen aus Naturlatex gönnen. Da würdest du besser schlafen und hättest weniger Rückenschmerzen.» Ich weiss nicht, ob Ihre Fantasie dafür ausreicht, aber ich stelle es mir witzig vor, wie der würdevoll thronende Fürst mit offenem Mund dasitzt, weil er Wörter um die Ohren geschlagen kriegt, von denen er noch nie etwas gehört hat – und nicht weiss, was er sagen soll.😉
Sollten Sie von der schieren Auswahl an Kissen ähnlich überfordert sein oder ganz einfach Bedarf nach einer königlichen Kissenberatung haben, versichere ich Ihnen, dass ich gerne die Rolle des Hofnarren einnehme und ihnen auf Burg «öko trend» meine ehrliche Meinung sage, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Dazu brauche ich nicht einmal eine Narrenkappe!
Sollten Sie beim Lesen dieses Blogs Lust bekommen haben, sich wieder einmal über ein paar Eulenspiegel-Geschichten zu amüsieren, dann finden Sie hier eine schöne Auswahl: https://www.till-eulenspiegel.de/till-eulenspiegel-geschichten-streiche/
Viel Vergnügen!
Nun freue ich mich, Sie in zwei Wochen beim Thema «Fastwood» wieder dabeizuhaben.
Bis bald!
Ihr Bernhard Heim
Schlaf- und Wohnberater und Hofnarr von Burg «öko trend»
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